Donnerstag, 2. Oktober 2014

Der Sensemann


Der Sensenmann steht vor der Tür 
Reicht mir die kahle Knochenhand. 
Er meint, es sei nun Zeit zu gehen, 
für sein Metier beinah galant. 

Es ist zu früh, denk ich bei mir. 
Der Film hat grad erst angefangen. 
Wenn mittendrin der Vorhang fällt,
Warum bin ich dann reingegangen?

Die Szene, wo sich beide finden,
Zusammen lachen, tanzen, träumen. 
Die wollt ich noch so gern erleben  
Und nicht das Beste jäh versäumen. 

"Lass mich noch hier, ich bitte Dich,
Die Witwe, dort gleich nebenan,
Den Mann betrauert Jahre schon
Nimm sie, sie stört sich nicht daran!"

Er schaut aus tiefen Augenhöhlen
Auf mich hinab mit Seelenruh. 
Hebt langsam mich auf seinen Arm
Und sagt, mein Kind, jetzt hör mir zu:

"Die Witwe hatte schon zwei Filme
Und dreht vielleicht auch noch den Dritten. 
Du hattest Deinen Film beizeiten,
Bist nur zu früh davongeritten."

Ich nicke matt, schließe die Augen,
Starte den Film, drück schnell den Knopf. 
Und während ich davongetragen,
Lach, tanz und träume ich im Kopf. 

                                      (c)Iris Kudelko 

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